Aktuelle Lage in Thailand ?

[lemmer]

Grubi, ich teile zwar die Einschätzung, dass mit der Niederschlagung der Demonstrationen die Sache wahrscheinlich (leider) noch nicht vorbei ist, und womöglich erst richtig losgehen könnte. Aber ich finde Deinen Beitrag, ebenso wie den der Tagesschau, recht einseitig und teilweise auch nicht den Tatsachen entsprechend:

[...] diese stellt ja auch mittlerweile nur zu deutlich mit ihren weitgreifenden Eingriffen unter Beweis, wie sie gestrikt ist. Die Zeiten der Schönfärberei und des sich Friedlich-, Kompromissbereit- und Einsichtiggebens sind vorbei, jetzt wird Flagge gezeigt, und auf der ist keine Friedenstaube drauf, sondern eine eiserne Faust, aus der Blut tropft. [...] Was vor ein paar Wochen noch eine friedliche Demonstration war, wird nun möglicherweise in einer Art Partisanenkrieg enden, mit Anschlägen, Verhaftungswellen und weiterer Destabilisierung des Systems.

Ich bin zwar ein großer Freund von Bürgerrechten und Meinungsfreiheit, und ein ebenso großer Kritiker von Repression durch staatliche Organe; ebenso muss sich aber auch jeder über sein Handeln im Klaren sein. Staatliche Willkür ist nicht in Ordnung. Ich stehe Menschen auch radikalere Protestformen wie das dreimonatige Besetzen des Geschäftsviertels einer Weltstadt mit dem Quasi-Errichten einer autonomen Zone (eigene Checkpoints, eigene Polizei, Zölle, usw.) zu. Aber wenn dann die Regierung eingreift, hat das nichts mehr mit Willkür zu tun; an der Stelle muss ich dann sagen, dass ich die Quittung für mein Handeln bekommen habe. Es war eben keine friedliche Demonstration. Die Regierung hat sich lange kompromiss- und verhandlungsbereit gezeigt; im Grunde hat doch Abishit laufend Gesicht verloren und selbst pro-Regierungsanhänger verloren, weil er immer nachgegeben hat.

Abschaffung der Pressefreiheit (soweit vorher überhaupt gewährleistet), Bespitzelung und Kasernierung von Opositionellen, Verbreitung falscher Meldungen usw usw.

Woher nimmst Du diese Informationen? Ganz im Gegenteil: Die meisten hier vor Ort hatten das Gefühl, dass es sich nicht nur um einen korrekten, sondern auch gut ausgeführten Einsatz handelte, aber die westliche Presse falsch bzw. verfälschend darüber berichtet. Insofern ist auch die Aussage der Tagesschau typisch:

Tagesschau.de
Die Pressefreiheit ist eingeschränkt und offenbar gibt es eine Kampagne gegen ausländische Journalisten.

Das ist ganz tendenziöse Meinungsmache, denn man suggeriert, die thailändische Regierung würde gegen den (ausländischen) Journalismus kämpfen. Die Tatsache ist, dass diese Kampagne in den Social Networks geboren ist - Facebook, Twitter, usw. - und damit von den Bürger ausgeht. Diese nämlich sind empört darüber, wie die westliche Presse, namentlich Dan Rivers und Sarah Snider von CNN, ein Bild von Bürgerkrieg und Irak in die Welt transportiert hat.

Tagesschau.de
Vier Tage nach dem Aufstand in Bangkok wimmelt es von Spitzeln: Ihre Ohren sind überall, um zu kontrollieren, wer was über die Ereignisse erzählt. Die Menschen leben in Misstrauen und Angst.

Es macht mich sprachlos, wie die Tagesschau derart unsachlich, schlecht recherchiert und tendenziös schreiben kann. Hier lebt niemand in "Misstrauen und Angst". Die über Social Media wie Facebook, Twitter, ThaiVisa.com usw. getriebene Berichterstattung war die sich am schnellsten aktualisierende Berichterstattung, die man sich hätte vorstellen können, und sie war von den Bürger getrieben und unkontrolliert. Es wurde auch nichts blockiert. Wesentlich wertvoller und differenzierter, als sich den dramatisch vor einem Schuss zurückschreckenden Dan Rivers anzugucken, der das ganze mit Irakkriegs-ähnlichen Worthülsen unterlegt.

Tagesschau.de
Mindestens sechs Menschen sind hier im Tempel ums Leben gekommen. Zahlreiche weitere wurden verletzt, darunter auch mehrere ausländische Journalisten - niedergeschossen von Scharfschützen. Die Schüsse seien oben, von den Gleisen der Hochbahn gekommen, sagten Augenzeugen. Dort hatten während dieser Zeit Soldaten der Armee Position bezogen.

Andere Augenzeugen berichten von schwarzgekleideten Snipern: Den Black Guards der Rothemden. Ein Taxifahrer zeigte noch mit dem Finger auf ein Hotel nähe Central World, als ich Mittwoch das brennende Bangkok gen Pattaya verliess: "Sniper, Sniper". "Soldaten?", frage ich ihn. "Nein, Redshirts", antwortet er mir auf Thai.
Die Flüchtlinge im Tempel seien ziemlich verängstigt gewesen, als sie von Soldaten und Polizei abgeholt wurden. Es habe einige Stunden Überredungsarbeit gekostet, sie darauszukriegen: Sie haben Angst vor den Soldaten gehabt. Zu recht oder geschickte Manipulation von ungebildeter Landbevölkerung über drei Monate hinweg?

Tagesschau.de
Viele Kollegen haben während der vergangenen Woche häufig darauf verzichtet, sich mit dem grünen Armband des thailändischen Journalistenverbandes als Medienvertreter kenntlich zu machen. Sie haben Angst, dann erst recht von aufgebrachten Demonstranten angegriffen oder von Scharfschützen ins Visier genommen zu werden.

Am Mittwoch ging wortgemäßg über Twitter: Journos raus aus Ratchaprasong. Redshirts machen jetzt Jagd auf Journalisten, wollen alles abfackeln.

Tagesschau.de
Nares Damrongchai, ist Mitglied einer Forschungsgruppe, die Szenarien für die politische Zukunft Thailands entwickelt hat. Als einer der ersten Schritte müsse die Einschränkung der Pressefreiheit aufgehoben werden sagte er: "Als erstes sollte die Regierung die Pressefreiheit wieder zulassen. Im Moment ist alles eingeschränkt. Man bekommt nur sehr einseitige Informationen. Und die Leute, die nur die thailändischen Fernsehsender sehen und die Standard-Zeitungen lesen, die glauben irgendwann daran. Aber viele Leute wissen, dass die Wirklichkeit anders aussieht."

D'accord, wobei man ehrlich sagen muss, dass es eher eine Dämlichkeit der Regierung ist und den Rothemden zuspielt: Dank schlechter Pressearbeit können die Rothemden im Norden und Nordosten ihre eigene, bessere Pressearbeit aufbauen und den Leuten wer-weiss-was ins Ohr flüstern.

Thailand mag nun endgültig ein Polizeistaat sein, [...]

Auch die Vermischung von Polizei und Militär ist nicht korrekt: Vielerorts, insbesondere in Ecken wie Bon Kai, Klong Toei, usw. hört man momentan eher die Aussage, dass man sich mit den Soldaten erstmals wieder sicher gefühlt hat, während die Polizei nichts tut, zuschaut, und dafür die Hand aufhält. Ich spüre hier momentan eine große Dankbarkeit den Soldaten gegenüber und dieser Einsatzleiter des CRES wird auf Facebook gar mit eigenen Fanpages und blumigen Kommentaren ("Look, he is so sexy now") bedacht. Tatsache ist doch, dass die Polizei seelenruhig zugesehen hat, wie nach und nach Geschäftsviertel eingenommen wurden, eigene "Zölle" erhoben wurden (Sathorn-Anwohner mussten 20 THB an Redshirt-Guards abdrücken, wenn sie zu ihrem Haus oder weg wollten), eigene "Guards" aufgebaut wurden, offensichtlich Waffen in das Gebiet gebracht wurden, usw.

Der jetztige Premier mit seinem gekauften Haufen von schmierigen Lobbyisten ist jedenfalls mit Sicherheit eine Marionette, zumindest das unterscheidet ihn von Taksin.Letztlic h hat wieder das Kaptial die Macht, das war ja Sinn der Übung. Bürgerrechte aushebeln, freie, demokratische Wahlen abschaffen, Volk weiter verdummen und den Kuchen unter sich aufteilen.

Bist Du Dir sicher, dass Du das beurteilen kannst? Ich kann es nicht. Es ist die Rhetorik der Rothemden; die anderer Seite argumentiert andersum: Die Abishit-Regierung sei legitim im Amt, die Wahlen waren demokratisch, es wurden sogar verfrühte Neuwahlen in Aussicht gestellt, und von der "Verdummung" des Volkes profitieren die Terroristen unter den Rothemden, die diese Menschen leicht manipulieren können.


Es ist sicher korrekt, dass das Land nach wie vor gespalten ist und die Ruhe erstmal nur für den Moment gilt. Aber die obige Berichterstattung suggeriert, dass hier der Großteil des Volkes gegen ein kleine Minderheit aus Regierung und Militär aufbegehrt und von diesen unterdrückt wird. Eine solche Sichtweise stimmt nicht; sie verschweigt die andere Hälfte des Landes, die sich angesichts der Terrorisierung von Rothemden in der eigenen Stadt unsicher gefühlt hat, sich lange Zeit von der Regierung hat alleine gefühlt hat, und der Regierung, vor allem den Soldaten, jetzt dankbar ist, dass alles wieder seinen gewohnten Gang geht, man wieder zur Arbeit kann, die Schulen aufmachen, man wieder Strom hat, man nicht irgendwem 20 Baht zahlen muss, um zu seinem Haus zu kommen.
Ich glaube nach wie vor, dass ein Großteil der Roten ernstzunehmende Anliegen hat und hatte, und es tut mir nach wie vor leid für viele, die in die Demonstrationen offenbar große Hoffnungen gesetzt haben. Auch bin ich der Meinung, dass Abishit & Co sehr vorsichtig dabei sein müssen, die Anliegen der Rothemden ernstzunehmen, wenn sie wirklich das Land einen wollen. Letztlich aber glaube ich auch, dass die Roten irgendwann den allzu radikalen und terroristischen Kräften in den eigenen Reihen erlegen sind. Man hatte vor und während den Demonstrationen mehr Befürworter, aber nach und nach Stadtteile und seine Einwohner zu unterdrücken, Krankenhäuse zu stürmen, und schließlich die halbe Stadt abzubrennen, Supermärkte und ATMs zu plündern, hat ordentlich PR-Schaden verursacht. Während einige Rothemden zum Schluss mit Worten gekämpft haben, haben sich andere (vermutlich solche, die unter drei Monate Dauerbeschallung radikaler Reden) gedacht: Jetzt zeigen wir den reichen Bangkokern mal, wie das so ist in Angst und Schrecken zu leben. Ich kann mich noch gut an letzte Woche erinnern als ich im Office war: Da saß eine gestandenen Branding-Managerin in Tränen aufgelöst, weil sie mitten in Bon Kai mit ihren Eltern wohnt und dort nicht weg kann, da ihre Eltern zu alt und gebrechlich sind.