Der Papst
#5
Auszug eines Briefes an alle Künstler ...

Der Künstler, Abbild des Schöpfergottes


1. Besser als ihr Künstler, geniale Baumeister der Schönheit, vermag niemand intuitiv etwas von dem Pathos zu erfassen, mit dem Gott am Anfang der Schöpfung auf das Werk seiner Hande blickte. Ein Nachschwingen jenes Gefühls hat sich unendliche Male in den Blicken niedergeschlagen, mit welchen ihr als Künstler jeden Zeitalters, vom Staunen über die geheimnisvolle Macht der Klange und Worte, der Farben und Formen gebannt, das Werk eurer Eingebung bewundert und darin gleichsam das Echo jenes Geheimnisses der Schöpfung wahrgenommen habt, an dem Gott, der alleinige Schöpfer aller Dinge, euch in gewisser Weise teilnehmen lassen wollte.


Es schienen mir daher keine Worte geeigneter als jene aus dem Buch Genesis, um sie an den Anfang meines Briefes an euch zu stellen, fühle ich mich doch durch Erfahrungen verbunden, die weit in die Vergangenheit zurückreichen und mein Leben unauslöschlich geprägt haben. Mit diesem Schreiben möchte ich den Weg jenes fruchtbaren Gespräches der Kirche mit den Künstlern einschlagen, das in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche nie abgerissen ist und an der Schwelle zum dritten Jahrtausend eine noch größere Zukunft hat.


In Wirklichkeit handelt es sich um einen Dialog, der uns nicht nur von historischen Umständen und praktischen Erwägungen aufgenötigt wird, sondern in dem eigentümlichen Wesen sowohl der religiösen Erfahrung wie des künstlerischen Schaffens verwurzelt ist. Der Anfang der Bibel stellt uns Gott gleichsam als das beispielhafte Modell jedes Menschen vor, der ein Werk hervorbringt: Im Künstler spiegelt sich sein Bild als Schöpfer. Besonders offenkundig wird diese Beziehung im Polnischen durch die sprachliche Verwandtschaft zwischen den Worten stwórca (Schöpfer) und twórca (Künstler).


Worin liegt der Unterschied zwischen »Schöpfer« und »Künstler«? Wer (etwas) erschafft, schenkt das Sein selbst, bringt etwas aus dem Nichts hervor — ex nihilo sui et subiecti, sagt man im Lateinischen —, und das ist im strengen Sinn die Vorgehensweise, die nur dem Allmächtigen zukommt. Der Künstler hingegen verwendet etwas bereits Vorhandenes, dem er Gestalt und Bedeutung gibt. Das ist die charakteristische Handlungsweise des Menschen als Ebenbild Gottes. Nachdem es nämlich in der Bibel geheißen hatte, daß Gott Mann und Frau »als sein Abbild« schuf (vgl. Gen 1,27), wird hinzugefügt, daß er ihnen die Aufgabe übertrug, über die Erde zu herrschen (vgl. Gen 1,28). Es war der letzte Schöpfungstag (vgl. Gen 1,28-31). An den vorangegangenen Tagen hatte Jahwe das Universum geschaffen und damit gleichsam den Rhythmus der kosmischen Evolution bestimmt. Am Ende schuf er den Menschen als erhabenste Frucht seines Planes; ihm unterwarf er die sichtbare Welt als unermeßliches Feld, auf dem er seiner Erfindungsgabe Ausdruck verleihen sollte.


Gott hat also den Menschen ins Dasein gerufen und ihm die Aufgabe übertragen, Künstler zu sein. Im »künstlerischen Schaffen« erweist sich der Mensch mehr denn je als »Abbild Gottes«. Er verwirklicht diese Aufgabe vor allem dadurch, daß er die wunderbare »Materie« des eigenen Menschseins gestaltet und dann auch eine kreative Herrschaft über das ihn umgebende Universum ausübt. Der göttliche Künstler kommt dem menschlichen Künstler liebevoll entgegen und gibt ihm einen Funken seiner überirdischen Weisheit weiter, indem er ihn dazu beruft, an seiner Schöpfungskraft teilzuhaben. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine Teilhabe, die den unendlichen Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf unangetastet läßt, wie Kardinal Nikolaus von Kues unterstrich: »Die schöpferische Kunst, die die glückselige Seele erlangen wird, ist der Wesenheit nach nicht jene Kunst, die Gott ist, sondern deren Mitteilung und Teilhabe«.(1)


Je mehr sich daher der Künstler seiner »Gabe« bewußt ist, um so mehr fühlt er sich dazu gedrängt, auf sich selbst und auf die ganze Schöpfung mit Augen zu blicken, die sich betrachtend zu vertiefen und zu danken vermögen, während er seinen Lobeshymnus zu Gott emporrichtet. Nur so kann er sich selbst, seine Berufung und seine Sendung in letzter Tiefe erfassen.
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Der Papst - von Analhirte - 04.04.2005, 23:29
Der Papst - von jako - 05.04.2005, 06:37
Der Papst - von Loki - 05.04.2005, 07:50
Der Papst - von Okapi - 05.04.2005, 09:54
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Der Papst - von joe28 - 05.04.2005, 10:16
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Der Papst - von RMN-Dater - 08.04.2005, 07:29